Retterhandbuch

Der Retter ist in der Ausbildungshierarchie der ERCA ein Ausbildungsstand, der eine Betreuerausbildung voraussetzt. Um angemessen in der jeweiligen Situation zu reagieren sollte eine gewisse Erfahrung vorhanden sein. Weitere Voraussetzungen, um retten zu können, sind eine gute Mobilität und Fitness für die Arbeit in der Höhe. Um eine ERCA-Zertifizierung zu erhalten, sind ein Höhenretterkurs in einer ERCA-Ausbildungsstelle, eine theoretische und eine praktische Prüfung zu absolvieren und ein Erste-Hilfe-Kurs, nicht älter als 6 Monate, vorzuweisen.
 

1. Rolle und Aufgaben des Retters

Der Retter kann im Hochseilgarten die gleichen Tätigkeiten wie ein Betreuer übernehmen. Zusätzlich zu diesen ist er in der Lage Menschen aus dem Hochseilbereich zu evakuieren und zu retten, wenn diese nicht mehr in der Lage sind den Parcour weiter zu durchlaufen. Üblicherweise arbeiten z.B. in einem Adventure Park (AP) mehrere Betreuer und Retter. Der Betreuer informiert den Retter, wenn seine Möglichkeiten der Hilfestellung nicht mehr ausreichend sind.


2. Prävention und Notfallmanagement

2.1 Prävention:

Grundsätzlich ist Prävention das erste Mittel der Wahl. Ziel muss es sein durch präventive Maßnahmen die Zahl der notwendigen Rettungen zu minimieren. Zum Beispiel durch eine fortlaufende, genaue Analyse der schwierigen Stellen eines Parcours und eine gute Risikobewertung, können Maßnahmen zur Reduzierung des Risikos einer Rettung erzielt werden. Auch eine gute Einweisung der Teilnehmer ist nötig um das Risiko zu verringern. So gibt es viele Möglichkeiten Risiken zu reduzieren. Es ist die Verantwortung des Betreibers an dieser Stelle gute Arbeit zu leisten und seine gesetzliche Pflicht dafür zu sorgen, dass sein Parcour von den Besuchern sicher durchlaufen werden kann. 
 

2.2. Die beste Rettung ist keine Rettung

Eine Rettung von Teilnehmern birgt immer ein Gefahrenpotenzial sowohl für den Retter als auch für den Teilnehmer. Wenn eine Rettung vermieden werden kann, dann sollte sie vermieden werden. Darum ist eine Prüfung, ob andere Möglichkeiten, z.B. Hilfestellung durch einen anderen Teilnehmer, oder ob der Teilnehmer selbst wieder Mut fasst und das Hindernis überwindet, oder ob vielleicht das Zuwerfen eines Halteseils hilft, immer ratsam.

2.3. Notfallmanagement:

Die DIN EN 15567-2 stellt Mindestanforderungen an den Notfallplan. Darin wird beschrieben, wie ein Notfallprozedere abläuft. Hier der Link für das Notfallmanagement des Hochseilgartens an der JBS:
 


3. Rettungsmethoden

Sofern eine Rettung unvermeidbar ist und selbst durch die physische Anwesenheit und Hilfestellung des Retters die hilflose Person (im weiteren HILOPE) den Parcour nicht weiter durchlaufen kann, entscheidet der Retter nach dem Herbeirufen des 2. Retters zwischen 3 Rettungsmethoden:

3.1. unbegleitete Rettung:

Wenn die HILOPE mental und durch Körperspannung einfach aus dem Parcour abgelassen werden kann, wird die unbegleitete Rettung praktiziert. Das heißt, der Retter lässt die HILOPE von einer für Ihn sicheren Position auf den Boden ab. Hierfür ist natürlich zu beachten, welche Untergrundbeschaffenheit unter dem Ablasspunkt herrscht, welche Barrieren eventuell auf dem Weg nach unten behindern könnten und welche Möglichkeiten für das Erstellen eines sicheren Anschlagpunkts für das Rettungssystem verfügbar sind. Erreicht die HILOPE den Boden, wartet hier in der Regel schon der 2. Retter, um die Person in Empfang zu nehmen und weiter zu begleiten. 
 

3.2 begleitete Rettung:

Sollte eine unbegleitete Rettung nicht möglich sein, weil der HILOPE die Körperspannung fehlt oder der mentale oder medizinische Zustand der HILOPE die Nähe und den direkten Zugriff des Retters während des Abseilprozesses erfordert, begleitet der Retter die HILOPE zu Boden. Eine begleitete Rettung bedeutet immer eine höhere Belastung des Tragsystems und aller Geräte, sowie ein höheres Risiko für beide Personen und sollte immer das letzte Mittel der Wahl sein. Diese Rettung erfordert eine gute Kenntnis und den routinierten Umgang mit allen Mitteln, die dafür notwendig sind. Eine begleitete Rettung muss regelmäßig geübt werden, damit sie im Ernstfall reibungslos abläuft.
 

3.3 begleitete Rettung durch 2. Retter von oben

Manchmal ist es sicherer und notwendig, wenn der begleitende Retter beide Hände frei hat, um die HILOPE an Hindernissen vorbei zu manövrieren oder der HILOPE unterstützend zu helfen. In diesem Fall wird die HILOPE begleitet vom zweiten Retter durch den ersten Retten von oben abgelassen.


4. Rettungsgeräte/Materialkunde

Dieses Kapitel beinhaltet die für den Hochseilgarten am häufigsten vorkommenden Geräte und Materialien, die in der Regel für Ablasstrecken bis 50m ausreichend sind. Für Rettungen aus größeren Höhen oder anderen extremen Bedingungen werden die Materialien unter Umständen anders angewendet. 

4.1 Rettungsgeräteübersicht

4.1.1 I'D und Alternativen 

In der JBS arbeiten wir mit dem Petzl I'D als Rettungsgerät für die meisten Einsätze. Es ist immer darauf zu achten, dass die meisten Abseilgeräte mit einer Last von 2 Personen nur mit bestimmten Zusätzen belastet werden dürfen. Alternativen zum I'D gibt es mittlerweile von allen namhaften Herstellern. So z.B. das Edelrid Megawatt. Wichtig ist zu wissen, wie das zur Rettung genutzte Gerät bedient werden muss. Hier gibt der Hersteller in seiner Betriebsanleitung genaue Anweisungen. Die Bedienungsanleitung findest du auf Petzl's Internetseite: Link
 

Das Petzl IDDas Petzl ID

4.1.2 ASAP und Alternativen

ASAP ist die Abkürzung für „as soon as possible“ und der Name für ein Sicherungsgerät gegen Absturz ebenfalls von Petzl. Das Gerät läuft auf einem stehenden Seil frei mit und blockiert im Falle eines Sturzes. Um die Kräfte des Sturzes aufzufangen, sind solche Geräte in der Regel mit Bandfalldämfern ausgestattet. Bei den Bandfalldämpfern  ist auf die angehängte Last zu achten, die im Falle einer Rettung unter Umständen auch 2 Personen betragen kann. Alternativen von anderen Herstellen gibt es auch hier. Zum Beispiel das Camp "Gobelin". Die Betriebsanleitung zum ASAP Lock, wie wir es in der JBS einsetzen, findest du hier bei Petzl zum Download: Link
 

ASAP von PetzlASAP von Petzl

4.1.3 Edelrid KAA und Alternativen

In den meisten Adventure-Parks, die einen touristischen Betrieb mit mehreren hundert Einzelgästen pro Tag haben, werden Rettungsgeräte verwendet, die ein einfaches Anheben und Abseilen der HILOPE ermöglichen. Ein Beispiel und das Gerät, dass wir in der JBS verwenden ist das Edelrid KAA. Die Bedienungsanleitung findest du hier bei Edelrid: Link

4.3 Bandschlingen etc.

Textile Verbindungsmittel unterliegen unter Umständen einer viel schnelleren Alterung als man sie üblicherweise  vermutet, oder von Seilen gewohnt ist. Hier ist es wichtig die Herstellervorgaben bzgl. Lagerung und Verwendung genau zu lesen. Achte beim Kauf auf das Herstellungs-Datum. 

4.2 Steighilfen

Erfolgt der Zustieg zur HILOPE am stehenden Seil, gibt es dafür verschiedene Möglichkeiten Steighilfen zu nutzen. Deren Zuhilfenahme kann auch bei der Rettung sehr gut angewendet werden und ist oft eine erhebliche Erleichterung beim Positionieren oder Anheben von Lasten im Seil. Steigklemmen, egal welcher Art, sind oft federbelastet und für fast alle gilt, dass die Lagerung immer geschlossen erfolgen soll. Bitte beachtet immer genau die Betriebsanleitung des jeweiligen Gerätes.

4.2.1 Fußsteigklemme

Die Fußsteigklemme erleichtert den Aufstieg am stehenden Seil unter Zuhilfenahme weiterer Geräte. Sie ermöglicht einen Aufstieg in Kombination mit einem Sicherungsgerät plus Umlenkung oder mit einer Bruststeigklemme.
 

4.2.2 Bruststeigklemme

Die Bruststeigklemme ist ein hervorragendes Hilfsmittel für den schnellen Aufstieg am Seil. Oft macht es Sinn sie bereits mit dem Brustgurt als Kombination zu kaufen, da sie dann auf den Gurt angepasst ist und sich nicht so leicht verdreht.
 

4.2.3 Handsteigklemme

Die Handsteigklemme ist ein echtes Allroundtalent und kann für den Aufstieg, zur Positionierung, zum Anheben von Lasten und vielem anderem benutzt werden. Sie sollte an keinem Trainergurt fehlen.

4.4 Rettungssack

Der Rettungssack bildet das Herzstück des Höhenrettungssystems und ist in der JBS mit folgenden Rettungswerkzeugen: das Petzl ID, Rettungsseil, ASAP, Sicherungsseil, Seilschere, Notfallpack und Petzl Jag. Vor jedem Einsatz ist eine gründliche Inspektion der Ausrüstung unerlässlich, um unsere Sicherheitsstandards zu gewährleisten. Es ist Aufgabe des jeweiligen Trainers, sich von der Vollständigkeit der Rettungsausrüstung zu überzeugen.Natürlich muss der Rettungssack im Hochseilgarten für den Retter immer griffbereit sein.


5. Arbeitsschutz

Für den Bereich des Rettens und Arbeitens in Hochseilgärten gelten die gesetzlichen Bestimmungen für Arbeiten in der Höhe. Für die Maßnahmen zur Unfallverhütung veröffentlicht der Spitzenverband der Unfallversicherer immer wieder Publikationen.

5.1 Richtlinien für Höhenarbeit

 Für den Arbeitsschutz und die Unfallverhütung wird von der DGUV hier umfangreiches Material  zur Verfügung gestellt.

        DGUV Regel 112-198 (Benutzung von PSAgA)

        DGUV Information 212-001(Arbeiten unter Verwendung von
        seilunterstützten Zugangs und Positionierungsverfahren)

        DGUV Regel 112-199 (Benutzung von persönlichen
       Absturzschutzausrüstungen zum Retten)

5.1.2 Notwendige Maßnahmen vor der Rettung

Um die Tätigkeit und die Arbeitssituation der Rettung möglichst sicher zu machen, ist die allgemeine Beurteilung der Situation sehr wichtig. Welches Risiko besteht für den Retter und die zu rettende Person? Ist die Risikobewertung erfolgt und der beste und sicherste Zustieg gewählt, müssen unter Umständen Streckenabschnitte des HSG gesperrt werden. Vor dem Zustieg wird der 2. Retter informiert und herbeigerufen. 
 


6. Rettungstechnik

6.1 Zustiegsmethoden

Es gibt unterschiedliche Zustiegsmethoden um zu hilflosen Personen im Hochseilgarten zu gelangen. Der Retter entscheidet, nach einer sorgfältigen Einschätzung der Situation, den für Ihn sichersten und schnellsten Weg, um zur HILOPE zu gelangen. Meist führt der über den Teilnehmerzustieg. Es ist aber auch möglich, dass dieser Zustieg nicht passierbar ist. Dann ist unter Umständen der Aufstieg am stehenden Seil, das Durchlaufen des Parcours entgegen des Besucherstroms, oder das Hinaufklettern einer Seilbahn nötig. Der Retter sollte in der körperlichen Verfassung sein auch unkonventionelle Wege gehen zu können.
 

6.2 Aufbau einer begleiteten Rettung

Hier geht es zur Bilderstrecke für den Aufbau der begleiteten Rettung:

Fotostrecke begleitete Rettung

6.3 Aufbau einer unbegleiteten Rettung

Hier geht es zur Bilderstrecke für die unbegleitete Rettung:

Fotostrecke unbegleitete Rettung

6.4 Abseil-/ Ablassprozess

Beim Abseilen der HILOPE ist darauf zu achten, dass in einem angemessenen Tempo abgeseilt wird. Zu hohe Geschwindigkeit kann ein Blockieren des mitlaufenden Sicherungsgerätes zur Folge haben, was bei einer Rettung unter Umständen wertvolle Zeit kostet. Weiterhin muss darauf geachtet werden, dass die HILOPE nicht an Plattformkanten oder ähnlichen Hindernissen hängen bleibt, oder sich irgendwo stößt.
Bei Ankunft am Boden macht es Sinn, dass der 2. Retter die Ankunft schon vorbereitet hat und ggf. Rückenstütze oder andere Hilfestellung leistet.
 

6.5 Dokumentation

Jede Rettung wird dokumentiert. Dafür gibt es bei uns den Un-/Vorfallbericht als online ausfüllbares Dokument. Die EN 15567-2 schreibt unter 4.2.b diese Dokumentationsform auch vor.

Den Download zum Dokument findest du hier:

Download Unfallbericht

7. Besonderheiten der Stationen

7.1 Adventure Parks

In einem Adventure-Park (AP) ist je nach Größe der Anlage das Retten eine Tätigkeit, die am Tag mehrmals vorkommen kann. Retten ist aber auch immer mit Personalkosten verbunden und gut organisierte AP´s versuchen über Analysen und das anschließende Entschärfen solcher Stellen, wo häufiger gerettet werden muss, die Kosten zu senken. Auch hier gilt: „Die beste Rettung ist keine Rettung“. Konstruktiv verfügt der AP in 95% der Fälle über ein Stahlkabel über Kopfhöhe, das über das Aktionssystem gut erreicht werden kann. Das heißt, dass der Retter über die Aufstiege, die auch die TN benutzen, zur HILOPE gelangt und dann relativ einfach retten kann. Für das Ausheben der HILOPE gibt es standardisierte Hilfsmittel wie Flaschenzüge, Kettenzüge oder Hubgeräte. In der Regel kann man an der Stelle der Rettung irgendwie stehen, selbst wenn die Rettung mitten im Element stattfinden muss. Eine Besonderheit sind Zip-Line Rettungen, auf die wir in Punkt 7.3 noch einmal gesondert eingehen.
 

7.2 Top-Rope Stationen

Eine Rettung an einer Top-Rope-Station, wie sie in traditionellen Seilgärten oft Standard ist, ist anders als im AP oft dadurch gekennzeichnet, dass der Ankerpunkt für das Rettungssystem nicht so einfach zu erreichen ist. Hier ist oft der Aufstieg am Tragwerk (z.B. Baum) mittels Aufstiegsseil nötig. Für den Aufstieg am stehenden Seil ist beim Retten eine zusätzliche Absturzsicherung über ein mitlaufendes Auffanggerät (ASAP) vorgeschrieben. In diesem Fall werden zwei unabhängige Seile benötigt. Ein Seil als Tragsystem und ein weiteres Seil als Sicherungssystem. In den meisten Fällen ist hier auch nicht unbedingt ein fester Stand am Rettungsort möglich, sodass die Positionierung des Retters zur HILOPE frei hängend gut geübt werden muss und wenig Fehler verzeiht.

7.3 Seilrutschen

Bei Seilrutschen hängt der Retter ohne Stand mit am Stahlseil der HILOPE. Eine weitere Herausforderung bei Ziplines kann sein, dass die Bergung unter Umständen gar nicht am tiefsten Punkt der Seilbahn stattfinden kann, weil sie zum Beispiel ein Gewässer überquert. Auch das Erreichen der HILOPE ist je nach Dynamik der Zipline nur mit zusätzlicher Positionierung möglich. Hier sollte man vorher gut überlegen, welche die einfachste Bergungsmethode ist. Auch die Bergung zum Start oder Endpunkt der Zipline kann eine gute Option sein, selbst wenn der Retter zur HILOPE hinklettern muss, um ein Zugseil zu befestigen. Eine gute Einweisung in die erprobten Rettungsmethoden des Parcours ist immer das A und O.